Ein Tandem für mehr Lebensqualität
„Auf einen Schlag“ wurde unser Alltag auf den Kopf gestellt. Lieb gewonnene Freizeitaktivitäten wie das Pedelec-Fahren konnten wir (Mutter und Vater, beide Anfang 80, und ein Sprössling) nicht mehr gemeinsam wahrnehmen. Für halbseitige Lähmung der schwereren Art gibt es zwar Hilfsmittel, die das Leben etwas erleichtern, aber keine Lebensfreude zurückbringen können.
Darauf wollten wir nicht länger verzichten und machten uns auf die Suche nach einem geeigneten Gefährt(en).
Eine erste Annäherung über den niederländischen Platzhirsch mit Probefahrten in unserer Nähe hat uns nach weiterer Recherche im Netz zum Modell Strada Cruiser cx von Urban Fahrradbau geführt und damit nach Hilden zu Herrn Appelbaum, der dieses Modell neben einigen anderen Alternativen führt.
Auf einer halbtägigen Probefahrt vor Ort durch eine idyllische Landschaft um den Elbsee herum machte sich erste Begeisterung breit. Insbesondere bei meiner Mutter löste dieser Tag ein Dauerlächeln aus. Nach 18 harten Monaten der Therapie das erste Mal wieder mit Vergnügen Zeit in der freien Natur, frei von den Zwängen des Rollstuhls zu verbringen, ließ für sie einen kleinen Traum wahr werden.
Mit einer zweiten Probefahrt kontrollierten wir ihren Therapiefortschritt und legten die Konfiguration unter vorausgegangener Einbindung der verantwortlichen Physiotherapeutin fest.
Tag und vereinbarte Uhrzeit der Auslieferung fielen „rein zufällig“ mit einem Hausbesuch der Physiotherapeutin zusammen, so dass sie, die Überraschung war groß, Gelegenheit hatte, erstmals einen Live-Blick auf Ergonomie und Tretverhalten zu werfen. Aber mehr noch: Ihr Tagwerk vollbracht, verschob sie ihren Feierabend spontan und machte mit meiner Mutter sogleich eine kleine Probefahrt. Als beide mit bester Laune zurückkehrten, beschrieb die Therapeutin diesen Tag als „den aufregendsten“ in ihrer schon länger andauernden Berufslaufbahn, der ihr „unvergesslich bleiben“ würde.
In der Zwischenzeit sind wir bereits einige Kilometer gefahren. Es fällt uns auf, dass das Interesse an diesem Tandem um uns herum sehr groß ist. Uns nicht bekannte Fußgänger winken, grüßen, Radfahrer heben den Daumen. Kinder finden das Tandem „extrem cool“ und lassen es deutlich verlauten. Jüngere Frauen registrieren diese ihnen noch unbekannte Form der Fortbewegung, wahrscheinlich um im Falle eines zukünftigen Bedarfs Eltern oder Bekannten eine Empfehlung geben zu können, und werden auch aktiv und suchen das Gespräch mit uns. Lediglich die Senior*innen selbst zeigen sich zurückhaltend, verfolgen aber unseren Weg mit ihren neugierigen Blicken sehr genau. Das Tandem erweist sich als Highlight auf der Strecke und regt zu Kommunikation an, die sonst nicht stattgefunden hätte.
Fazit: Familie glücklich, soweit wie es unter diesen Umständen eben geht, Therapeutin glücklich, Passanten aus dem Häuschen –Alles richtig gemacht!
Vielen Dank an alle Beteiligten!
Andre Schilling, Bonn